Zwei Welten

Yùyuán // 豫園
Der Yùyuán ist eine ehemalige kaiserliche Parkanlage, die auf kleinstem Raum alle Elemente vereint, die einen perfekten chinesischen Garten ausmachen. Er trägt die Auszeichnung ‘Denkmal der VR China’, was wohl vergleichbar ist mit unserem Weltkulturerbe. Und er ghört zu den Top 3-Touristen-Attraktionen, und so gut wie jeder Besucher der Stadt hat ihn auf seiner Liste. Dementsprechend voll ist es dort. Mit fast jedem Schritt durchkreuzt man den Versuch eines Kamerabesitzers, ein gelungenes Erinnerungsfoto zu erstellen. Klingt anstrengend, und auch ein bisschen nervig. War es auch. Aber als (Neu-)Shanghainesin, und um mir selber ein Bild davon machen zu können, musste ich zumindest einmal dort gewesen sein. Die gesamte umliegende Gegend darf man sich übrigens als großzügig angelegten Touri-Markt vorstellen, mit vielen überteuerten Souvenirgeschäften und jeweils mindestens einer Filiale aller weltweit operierenden Gastronomieketten. War aber trotzdem eine schöner Mittag, und wir sind auf dem Platz gesessen, an dem sich früher die Monarchen ihren Tee haben servieren lassen.

Yùyuán, Louise und ich // 豫園, Louise 和我
Geht man nur zwei Straßen weiter, und durchquert eine Gasse, in der man sich am Ende der Welt glaubt, steht man auf einmal mitten in einem lokalen Marktviertel. Enge, verwinkelte Gassen, gesäumt von kleinen, ursprünglichen Häusern mit den charakteristischen Dächern, links und rechts ein Marktstand neben dem anderen. In der Luft vermischen sich unzählige Aromen, lautes Rufen und Hupen und Stimmen allerorts, und pausenlos neue Entdeckungen. Als wir dort waren ging gerade die Sonne unter, und die Dämmerung legte sich über die Szenerie. An den Häusern und Ständen wurden zahllose staubig gelbe Lampen angeknipst, in deren Lichtschein die Rauchschwaden von den offenen Feuerstellen vorbei zogen. Obst, Gemüse, Imbiss-Stände mit kleinen Tischen dahinter, Küchenutensilien, Blumen, Stoffe, Zeitungen, Tee. Und natürlich: Frischfleisch.
Für die Tiere, die hier verkauft werden, sind diese Straßen, vorsichtig ausgedrückt, die Hölle auf Erden. Hilflos zuckende Frösche, denen die Haut abgezogen wird. Verzweifelt zappelnde Fische, die geschuppt und am Bauch aufgeschnitten werden. Am ganz Körper zitternde Enten und Hühner, die mit zusammen gebunden Beinen auf der Straße liegen, und die von den vorbei drängenden Passanten im besten Fall mit den Füßen zur Seite geschoben werden. Ich bin ja immer die Erste, die ruft: Man darf nicht wegschauen, muss sich der Realität stellen und versuchen zu ertragen, was man da sieht. Hier konnte ich nicht weiter hinsehen. Mir ist klar, dass in der westlichen Welt genau dasselbe geschieht, nur halt hinter verschlossenen Türen. In Asien gehört das alles zum Alltag, jeder ist mit dem Anblick groß geworden und die Menschen haben ein komplett anderes Verhältnis dazu.

Arme Fische // 差鱼
Ich hatte gleich zwei Erlebnisse, die ganz klar zeigen, dass wir in dieser Umgebung mehr geduldet als willkommen sind. Um mir einen Straßennamen zu notieren bin ich, ohne mir etwas dabei zu denken, direkt vor einem kleinen Wagen mit Äpfeln stehen geblieben. Der Besitzer sprang daraufhin von seinem Stuhl auf, stellte sich neben mich, schrie mich lauthals und wild gestikulierend an, und schubste mich schließlich zur Seite. Grund dieser Aktion war vermutlich seine Befürchtung, ich würde ihn durch ein 10-sekündiges Verdecken seines (nicht gerade exklusiven) Angebots um wichtige Einnahmen bringen. Doch auch als zahlende Kundin verbesserte sich mein Status nicht gerade. Beim Erwerb eines purpur-farbenen Rettichs nannte mir der Verkäufer schmunzelnd einen absurd hohen Preis. Da stand ich nun, die vermeintlich reiche Expatfrau, Auge in Auge mit einem hart arbeitenden Gemüsebauern, der von seinen Tageseinnahmen wahrscheinlich eine Großfamilie ernährt, und wollte mit ihm über den Preis einen Rettichs verhandeln, der in Deutschland im Biomarkt in der Exotenabteilung wahrscheinlich nochmal das 5-fache gekostet hätte. Ich mach’s mal kurz: Ich habe den verlangten Preis gezahlt, der Kollege von nebenan hat lauthals angefangen zu lachen, und ich bin recht froh dass ich nicht mal ansatzweise verstanden habe, was gesagt wurde. Jedenfalls habe ich alle existierenden Vorurteile uns Langnasen gegenüber tatkräftig unterstrichen. Und ich bin mir auch sicher, dass der gute Mann nach diesem Geschäft seinen Stand für diesen Tag schließen konnte und heim gegangen ist. Darüber freue ich mich mit ihm.
Der Rettich war übrigens köstlich, und zudem noch herrlich anzuschauen.